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Grüne Woche: Abschotten und Wegsehen

Abschotten und wegessen

Grüne WocheDie verheerenden Folgen deutscher Landwirtschaftspolitik sind hierzulande kaum zu spüren

DER FREITAG - Kathrin Hartmann | Ausgabe 03/2018 10

Wenn die Agrarindustrie in den Berliner Messehallen zur Grünen Woche einfamilienhausgroße Erntemaschinen und Hightech-Massenställe präsentieren wird, tagt zum zehnten Mal die Berliner Welternährungskonferenz. Beim Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) wollen Politik und Wirtschaft „Die Zukunft der tierischen Erzeugung gestalten – nachhaltig, verantwortungsbewusst und leistungsstark“, so das Motto der diesjährigen Tagung. Es gelte, schreibt CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt in seinem Grußwort, „einen fairen Ausgleich zu finden zwischen der weltweit steigenden Nachfrage nach tierischen Produkten und der Erfüllung der Pariser Klimaziele“.

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Nun, nach diesem „Ausgleich“ kann man lange suchen. Warum man ihn nicht finden wird, erklärt Schmidts Ministerium in einer Broschüre mit dem sinnfälligen Namen „Landwirtschaft verstehen“: Zwar könne sich Deutschland theoretisch fast komplett selbst mit Lebensmitteln aus heimischer Erzeugung versorgen.

Alles in die Futtertröge

Praktisch ist Deutschland der drittgrößte Importeur von Lebensmitteln der Welt. Denn die Äcker hierzulande sind vor allem für die Fleischproduktion reserviert. Statt Getreide, Obst und Gemüse für Menschen wächst auf zwei Dritteln der landwirtschaftlichen Flächen Futter für die 200 Millionen Tiere in Massenställen, auf einem Fünftel sogenannte „Energiepflanzen“. Nur ein Fünftel des angebauten Getreides wird zu Lebensmitteln verarbeitet – der Großteil wandert in Futtertröge, Biogasanlagen und Autotanks. Allein die Maisfelder dehnen sich hier auf einer Fläche von der Größe Siziliens aus.

Mit der Zerstörung der landwirtschaftlichen Vielfalt geht jedoch ein Verlust der Artenvielfalt einher. Mehr als drei Viertel der Insekten sind verschwunden, ein Drittel der heimischen Vögel ist bedroht, und neun Prozent der Böden sind degradiert, weil mit den Monokulturen der Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wächst.

Doch im reichen Deutschland spüren wir wenig von diesen verheerenden Folgen. Die Regale der Supermärkte sind ja randvoll. Mehr als die Hälfte der Waren, die wir dort kaufen, wächst in anderen Ländern. Die zerstörerische Landwirtschaft zum Zwecke des Wirtschaftswachstums wäre gar nicht möglich, würde sich Deutschland die Teller nicht in anderen Teilen der Welt füllen. Jedes Jahr werden Lebensmittel und andere Produkte importiert, deren Anbau und Herstellung eine Fläche, doppelt so groß wie die Bundesrepublik, beansprucht – anderswo in der Welt. Während sich Deutschland zunehmend gegen jene abschottet, die vor Armut, Hunger und Krieg hierher fliehen, verleibt man sich wie selbstverständlich deren Land, Wasser, Rohstoffe, Essen und Lebensgrundlagen ein. Gleichzeitig ist Deutschland drittgrößter Agrarexporteur der Welt: Mehr als ein Viertel aller Erlöse erzielt die deutsche Landwirtschaft aus dem Export von Fleisch und Milch. Nirgends in Europa wird davon mehr erzeugt als hier. Und weil hier nicht einmal die riesigen Futterflächen ausreichen, um immer mehr Fleisch für den deutschen Fleischwahn und den Export zu produzieren, importiert Deutschland jedes Jahr 4,5 Millionen Tonnen Futtersoja. Für diese Gentechnik-Monokulturen wird in Lateinamerika Indigenen Land geraubt und Wald vernichtet.

Hunderte Millionen Liter Pestizide landen auf den Feldern, machen Menschen krank, ruinieren Böden und Wasser. Für industrielles Fertigessen, das uns im Supermarkt Ernährungsvielfalt vorgaukelt, und für Biosprit, der das Klima nicht rettet, werden gewaltige Mengen Palmöl aus Indonesien importiert. Dort wachsen die Ölpalmen auf einer Fläche, dreieinhalbmal so groß wie die Schweiz, die zuvor mit Regenwald bewachsen war. Weltweit ernten Sklaven in Plantagen und Gewächshäusern im Giftregen unser Importobst und -gemüse, während wir auf weniger als einem Prozent unserer Ackerflächen Gemüse anbauen. Bereits heute könnten sich vier Milliarden mehr Menschen gut ernähren, wenn auf den Äckern der Welt nicht Futter- und Energiepflanzen wachsen würden. Stattdessen ist die Zahl der Hungernden wieder gestiegen.

Als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem gleichnamigen Buch die verschwenderischen Alltags- und Konsummuster in den kapitalistischen Zentren. Sie sind seit dem Kolonialismus dadurch geprägt, dass systematisch und in überproportionalem Umfang auf billige Ressourcen und billige Arbeitskräfte in anderen Regionen der Welt zurückgegriffen wird, damit wir einen Lebensstandard erreichen können, den wir als normal betrachten. Würden aber alle Menschen auf der Welt so leben und konsumieren, wie das in reichen Ländern wie Deutschland der Fall ist, dann bräuchte es 3,1 Planeten, um den Bedarf zu decken. Das hat das Global Foodprint Network berechnet.

Eine Landwirtschaftspolitik, die sich also weiterhin an den ökonomischen Interessen der Agrar- und Lebensmittelindustrie und der Supermarktkonzerne orientiert, die Wachstum und Export in den Mittelpunkt stellt und versucht, den verschwenderischen Konsum zu befeuern, ist weder mit den Klimazielen vereinbar, noch ist sie nachhaltig oder verantwortungsbewusst.

Eine ökologisch und sozial gerechte globale Landwirtschaft ist möglich. Doch sie verträgt sich schlecht mit Hyperkonsum und wachsendem Fleischverzehr. Wäre das wirklich Verzicht zu nennen? Nein. Auf eine imperiale Lebensweise, die systematisch auf Kosten anderer, ihrer Gesundheit, ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Selbstbestimmung erfolgt, gibt es schlicht kein Recht.

Kathrin Hartmannveröffentlicht im Februar das Buch Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell, im März startet der zugehörige Film The Green Lie in den Kinos     - 19.01.2018