Landwirtschaftliche Bauprivilegierung

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AbL Niedersachsen/Bremen: Arbeitspapier, Stand 25.7.2017
Landwirtschaftliche Bauprivilegierung und Futterflächenberechnung

Der Außenbereich einer Gemeinde ist auch baurechtlich streng gegen willkürliche Bebauung und Zersiedlung geschützt. Die Bebauung in diesem „Freiraum“ ist deshalb auf wenige „privilegierte“ Bauzwecke beschränkt, von denen eine die landwirtschaftliche Privilegierung von Tierhaltungsanlagen ist – das heißt: eine Tierhaltungsanlage, die eng mit der Landnutzung verbunden ist.

Diese landwirtschaftliche Privilegierung nach § 35.1.1. BauGB ist von dieser Logik her eigentlich vor allem jenen Stallanlagen vorbehalten, die von ihrer Nutzung her logisch im Außenbereich umgesetzt werden müssen und von ihrer Nutzung her nicht im Innenbereich praktiziert werden können: also Rinderställen mit Weidegang, Schweine- und Geflügelställen mit Auslauf bzw. Futteraufnahme auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche. In der Praxis wurde diese Privilegierung aber zunehmend auch auf solche landwirtschaftlichen Stallanlagen ausgedehnt, bei denen das Futter gar nicht von umliegenden Flächen stammte, sondern deren Futtermittel (Getreide, Soja, Silomais) von weither herantransportiert werden konnten (was eine echte und konkrete betriebliche Flächenbindung der Tierhaltung in Frage stellte).

Der § 201 des BauGB führt zum „Begriff der Landwirtschaft“ aus: „Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzbuchs ist insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit des Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei.“

Nebenbei: Der Tatbestand, dass landwirtschaftliche oder nichtlandwirtschaftliche Anlagen mit Emissionen/Immissionen verbunden sind, berechtigt dagegen nicht zum Bauen im Außenbereich, sondern erfordert entweder Immissionsminderung (Filter) oder den Bau in einem extra ausgewiesenen Gewerbegebiet.

Bis vor einigen Jahren konnten auch nichtlandwirtschaftliche (gewerbliche) Tierhaltungs-Anlagen ohne eigene Futterflächengrundlage im Außenbereich genehmigt bzw. gebaut werden, sofern sie die rechtlichen Sozialverträglichkeits-Normen (Belastungsgrenzen hinsichtlich der Immissionen auf Natur, Umwelt, Anwohner) nicht überschritten. Diese ursprünglich für gewerbliche Ausnahme- und Einzelfälle gedachte Regelung nach § 35.1.4. BauGB war aber über die Jahre zum Regelfall geworden, so dass immer mehr nichtlandwirtschaftliche (gewerbliche) Tierhaltungsanlagen im Außenbereich genehmigt und gebaut wurden – entgegen dem ursprünglichen Ziel des Baugesetzbuchs und ohne Beachtung einer regulierenden Flächenbindung.

Die jeweils immer mehr zunehmenden Tierzahlen in den immer größeren Tierhaltungsanlagen führte zu massiven Problemen in Intensivtierhaltungsregionen (Gülleausbringung, Grundwasserbelastung), sondern wegen der regionalen Massierung von Ställen auch zu weiträumigen Stickstoff-, Geruchs- und Keimbelastungen von Natur, Umwelt und Anwohnern. In der Folge konnten viele Gemeinden kaum noch unbelastete Baugebiete für Wohnzwecke ausweisen. Auch viele Landwirte wurden am Bau von Ställen gehindert, weil die Immissions-Obergrenzen bereits durch bestehende Ställe ausgenutzt waren.

Auf Druck von EU, kommunalen Spitzenverbänden, Landräten aus den Intensivtierhaltungsregionen und Bürgerinitiativen beschloss der Bundestag 2013 bei der Novellierung des Baugesetzbuchs parteiübergreifend, die landwirtschaftliche Privilegierung nach § 35.1.1. BauGB aufrechtzuerhalten, die baurechtliche Privilegierung für gewerbliche Tierhaltungs-Großanlagen (die die Vorgabe von 51% Futterfläche nicht erreichen) nach § 35.1.4. BauGB aber zu streichen.

In der Baugesetzbuch-Novelle 2013 hat der Bundestag parteiübergreifend festgelegt, dass gewerblich oder industriell betriebene Großanlagen der Tierhaltung nicht mehr privilegiert sind, sofern sie UVP-pflichtig oder –vorprüfungspflichtig sind. Erforderlich für die Annahme einer UVP-Pflicht ist ja die plausible Erwartung, dass ein Bauvorhaben zu erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen führen kann. Insofern geht der Bundestag bei Anlagen folgender Größenordnungen zu Recht von der Annahme aus, dass sie allein schon wegen ihrer Größe zu deutlichen Risiken hinsichtlich einer umweltverträglichen Produktion in Kulturlandschaften (Begründung der Bundesregierung) führen. Kommunalen Gebiets-körperschaften wird deshalb das Recht eingeräumt, die Erstellung eines Bebauungsplans für solche Anlagen zu unterlassen. Dies betrifft gewerbliche Anlagen ab folgenden Tierplatz-Zahlen: 1.500 Mastschweine, 560 Sauen, 4.500 Aufzuchtferkel, 600 Rinder (das entspräche 300 Kühen plus Nachzucht), 30.000 Masthühner oder 15.000 Legehennen oder Puten. Diese dem Immissionsschutzrecht entnommenen Grenzwerte gelten im Hinblick auf die baurechtliche Privilegierung bislang leider noch nicht für Betriebe mit viel Fläche, obwohl es für die Immissionen und deren Auswirkungen natürlich völlig unerheblich ist, ob damit irgendwelche Flächen verbunden sind.

Nach dem Ausschluss der baurechtlichen Privilegierung von gewerblichen Stallanlagen (ohne ausreichende Futterflächen) versuchen viele an sich gewerbliche Investoren, durch eine eigenwillige „Interpretation“ der Futterflächen-Berechnung dich noch eine baurechtliche landwirtschaftliche Privilegierung zu ergattern. Deshalb kommt der ordnungsgemäßen und rechtssicheren Definition und Berechnung dieser Futtergrundlage, die in Niedersachsen durch die Landwirtschaftskammer geschieht, eine zentrale Bedeutung zu.

Für eine landwirtschaftliche Privilegierung nach § 35.1.1 BauGB sind mehrere Tatbestände erforderlich:

1. Konkrete Ermittlung der für die Tierhaltung erforderlichen Futterflächen

Eine landwirtschaftliche Tierhaltung liegt gemäß § 201 BauGB nur vor, wenn das Futter für diese Tiere „überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betriebe gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann“.

Bis zur Novelle des BauGB 2004 war vorgeschrieben, dass mehr als die Hälfte des Futters auf solchen Betriebsflächen erzeugt wurde (Tatbestand der flächenbezogenen Tierhaltung) und außerdem tatsächlich in der Tierhaltung des Betriebes verfüttert wurde (konkrete Betrachtungsweise). In der Gesetzesbegründung zu § 201 (vergl. Bundestagsdrucksache 15/2250, S. 62) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit der Novelle 2004 lediglich das zweite Kriterium (konkrete Betrachtungsweise: tatsächliche Verfütterung im Betrieb) geändert wurde – nämlich durch die nunmehr gültige abstrakte Betrachtungsweise, wonach die Anforderung der unmittelbaren Verfütterung künftig wegfallen sollte. Diese Maßnahme trug u.a. dem Umstand Rechnung, dass viele Betriebe keine eigenen Mahl- und Mischanlagen für die fütterungstechnische Verarbeitung ihrer Feldfrüchte mehr betrieben und diese Feldfrüchte unverarbeitet verkauften und stattdessen analoge Futtermittel zukauften.

Gültig bleibt aber auch nach Ersatz der konkreten durch die abstrakte Betrachtungsweise die Anforderung der flächenbezogenen Tierhaltung und damit das flächenbezogene Kriterium, dass auf den Flächen des Betriebes tatsächlich Tierfutter erzeugt werden muss, das hinsichtlich seiner Eignung und seines Volumens ausreichend ist für den überwiegenden Teil des Futterbedarfs (siehe: Kommentar Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger zu BauGB § 201 Rn. 17; Urteil OVG Münster vom 15.02.2013 – 10 A 1606/11; Urteil VG Neustadt vom 22.02.2016 – 3 K 325/15.NW).

Insofern ist die Futterfläche folgendermaßen zu ermitteln:

Es versteht sich von selbst, dass Wald oder Stilllegungsflächen (und bei Schweinen und Geflügel auch Grünlandflächen) ebenso wenig als Futtergrundlage zu betrachten sind wie der Anbau von Kulturen, die bereits bestimmungsgemäß oder vertraglich zu anderer Nutzung (Zuckerrüben, Biogasmais, Stärkekartoffeln etc.) vorgesehen sind. Dies ist konkret für den betreffenden Betrieb zu ermitteln und darzustellen.

Das in der Futterflächenberechnung angesetzte Futter muss für die beabsichtigte Art und Form der Tierhaltung geeignet sein: In der Geflügelmast z.B. ist von den Anbaufrüchten nur Futterweizen oder Körnermais geeignet – nicht aber Backweizen, Gerste, Roggen, Hafer, Silomais, Kartoffeln, Rüben oder andere Feldfrüchte. In der Schweinehaltung können neben Futterweizen auch Roggen, Gerste, Raps oder Körnerleguminosen (ganz oder teilweise) in Ansatz kommen, in der Rinderhaltung auch Mais, Ackergras oder Grünland.

Quantitativ sind auf Grundlage langjähriger Durchschnittswerte (nicht Spitzenergebnisse) die Hektar-Erträge festzustellen. Die Landesämter für Statistik weisen in ihren jährlichen Statistischen Berichten die durchschnittlichen Erträge in den Landkreisen aus. Von den so ermittelten z.B. Futterweizen-Mengen des Betriebes sind noch Verluste und Schwund z.B. bei Lagerung abzuziehen. Zu berücksichtigen ist hierbei außerdem, dass Weizen nach landwirtschaftlicher guter fachlicher Praxis im Rahmen einer Fruchtfolge nur alle 3 Jahre (besser: alle 4 Jahre) auf einem Acker anzubauen ist. Der Bezug auf die – auf einer ganz anderen Zielsetzung beruhenden – subventionstechnischen Fruchtfolge-Vorgaben der Direktzahlungsverordnung (mit bis zu 75% Abteil einer Feldfrucht am Anbauverhältnis!) ist hier nicht sachbezogen und unzulässig.

Es ist daher wegen der gebotenen Eignung des Futters für die jeweilige Tierart absolut unzulässig und unsachgemäß, die Futterbereitstellung und auch den Futterbedarf pauschal und unkonkret in Form von Energiewerten wie MJ ME oder MJ NEL (Megajoule Metabolisierbare Energie / Verdauliche Energie) zu berechnen und dabei sogar – im Falle von Schweine- oder Geflügelanlagen – das Ausweichen auf energiereichere Mais-Fruchtfolgen zu ermöglichen.

Als agrarindustriegeneigt und absolut nicht rechtskonform ist deshalb die Praxis der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zu bewerten, unter Missachtung der konkreten Futteranforderungen der jeweiligen Tierart auf dem Futterflächen-Berechnungsbogen eine vollständig unpassende, aber rechnerisch energiereiche Fruchtfolge zu konstruieren, bei der Silo- und Körnermais 75% in Anbauverhältnis bzw. Fruchtfolge ausmachen und pauschal ein Fruchtfolgeglied „Getreide“ (ohne Berücksichtigung der Tieransprüche an eine bestimmte Getreideart) mit 25% anzusetzen. Nicht berücksichtigt wird von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen auch die Tatsache, dass bestimmte Feldfrüchte per se nicht der Verfütterung dienen, sondern vertrags- oder bestimmungsgemäß für andere Verwertungen gebunden sind – z.B. Silomais für Biogasanlagen, Rüben- oder Kartoffeln für Rüben- oder Stärkefabriken etc..

Hinzu käme eigentlich noch die die Vorgabe, dass entsprechend dem Eiweißbedarf der Tiere eigentlich auch 51% der jeweils konkreten Eiweißfrüchte (also je nach Tierart Körnerleguminosen, andere Leguminosen oder Raps) auf den Flächen erzeugt werden können - was entsprechend bei den Flächenberechnungen anzusetzen wäre.

Eine reelle Futterflächenberechnung der Landwirtskammer müsste beispielsweise folgendermaßen aussehen – am Beispiel einer beantragten Hähnchenmastanlage:

Beantragte Tierplätze: 78.000
abzüglich Tierverluste pro Durchgang (1/2 x 3%) 1.170
= zu fütternde Tiere pro Durchgang: 76.830
zu fütternde Tiere pro Jahr (bei 7,5 jährlichen Durchgängen x 76.830): 576.225

Tierzahl x Gewichtszuwachs der Tiere pro Jahr (2,30 kg) = 1.325.317,5 kg = 13.253,2 dt
x Futterbedarf für 1 kg Gewichtszuwachs (Futterverwertung:1,67)= 22.132,8 dt Futterbedarf

Durchschnittliches Ertragsniveau Winterweizen im Landkreis: 80 dt/ha
abzüglich Lager-Verluste und Schwund (5% = 4 dt/ha)= 76 dt/ha

Benötigte Gesamtfutterfläche: 22.132,8 dt Futterbedarf geteilt durch 76 Hektarertrag
= 291,2 ha (davon 51% „überwiegende Futterfläche“ laut BauGB = 148.5 ha)
wegen Einhaltung einer dreijährigen Fruchtfolge: 873,6 ha
- davon 51% lt § 201 BauGB: 445.5 Hektar

Mit ihren bisherigen Berechnungsmethoden würde die Landwirtschaftskammer für den Investor mehrere hundert Hektar weniger Futterflächenbedarf errechnen und somit fälschlicherweise einem nichtlandwirtschaftlichen (gewerblichen) Investor das Prädikat „Landwirtschaftlich“ verschaffen – und damit eine angeblich „landwirtschaftlich privilegierte“ Baugenehmigung.

2. Dauerhafte Sicherung der Futterfläche für die Dauer der Nutzung der Anlage

Gemäß § 201 BauGB erfordert eine landwirtschaftliche Privilegierung einer Tierhaltungsanlage eigentlich, dass die überwiegende Futtergrundlage für die gesamte Dauer der Nutzung dieser Anlage gesichert zur Verfügung stehen muss. Dies ist im strengen Sinne nur bei Eigentumsflächen gegeben (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.08.1979 (IV C 3.77). Die Rechtsprechung macht bei Pachtflächen grundsätzliche Einschränkungen, vor allem bei einer weit überwiegend gepachteten Flächenausstattung. Siehe hierzu: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.11.1972 (IV C 9/70) und vom 03.02.1989 (4 B 14/89) sowie Urteil des VG München vom 05.05.1998 (1 K 5643/96).


Ausnahmsweise und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls kann eine landwirtschaftliche Privilegierung erfolgen, wenn die Pachtverträge langfristig in Form von hohen Pacht-Restlaufzeiten (ab Genehmigungsentscheid!) gesichert scheinen. Die herrschende Rechtsprechung sieht hierfür eine Mindestlaufzeit von 18 Jahren als erforderlich. Siehe hierzu: Urteil des OVG Lüneburg vom 30.08.1988 (1 A 164/86), Urteil des OVG Münster vom 19.06.1970 (X A 104/69), Urteil des OVG Bremen vom 14.01.1986 (1 BA 36/85), Urteil des VG Göttingen vom 28.06.2007 (2 A 161/06). Eine Minderheitsmeinung hält eine Mindestlaufzeit der Pachtverträge von nur 12 Jahren für ggf. im Einzelfall ausreichend: Urteil VG München vom 05.05.1998 (1 K 5643/96), Urteil des VG Minden vom 22.09.2010 (11 K 1160/09)

Auch bei diesem Thema ist bei den Ausarbeitungen der Landwirtschaftskammer für die Genehmigungsbehörden viel mehr Konkretion hinsichtlich der Flächen und ihrer Pacht-Restlaufzeiten damit mehr Rechtskonformität einzufordern.

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